Die kleinen und großen Dinge – mit Corona

Heute (wir haben den 1. April 2020) war Antrag Nummer 2 fällig. Wieder einmal saß ich heute morgen vor dem Laptop, um jetzt an die versprochene Liquiditätshilfe vom Bund zu kommen. 9000 Euro wurden versprochen. Die 3000 Euro Landeshilfe (von der wie bisher noch nichts gesehen haben) wird gegengerechnet. Und die 9000 Euro dürfen nicht für den Lebensunterhalt verwendet werden. Nur die betrieblichen Ausgaben sind damit abzudecken, alles andere wird zurückgefordert. Nun stellt sich doch unweigerlich die Frage, welche Vorstellungen “die da oben” haben, wie ein Soloselbständiger seinen Lebensunterhalt bestreitet? Doch eben mit den Einnahmen aus seiner Selbständigkeit! Offenbar interessiert das aber niemanden.

Lapidar wird man dann auf die Möglichkeit verwiesen, Arbeitslosenhilfe II (Grundsicherung, wie es aufgehübscht heißt) zu beantragen. Ist klar! Man möchte sich ja auch unbedingt als Selbständiger in der Arbeitslosenhilfe II wiederfinden. Ist spitze für die Psyche. Nicht genug damit, dass wir eh schon von der Krise finanziell bis ins Mark getroffen sind, nun sollen wir uns auch noch die Blöße vor dem Amt geben. Zwar wird offen getönt, dass die Vermögensprüfung für ein halbes Jahr ausgesetzt wird, und dass vollkommen unbürokratisch (hmmm…hab ich doch vorher auch schon gehört???) die Grundsicherung beantragt werden kann – allerdings behalten sich die Bürokraten eine spätere Überprüfung vor. Ich hab nichts zu verbergen und trotzdem hab ich das Gefühl einer Betrügerin zu sein, die sich Almosen erschleichen will. Genau dieses Gefühl vermitteln mir alle Anträge, die ich bisher ausgefüllt habe.

Auf der letzten Seite dieser Anträge finden sich Unmengen an Voraussetzungen, die man als Unterzeichner eidesstattlich versichern muss, dass man hier schon das Gefühl hat, mit einem Bein bereits im Gefängnis zu stehen bzw. sich geradewegs dorthin begibt. Und dazu jedes mal die Ungewissheit, ob auch alles richtig ausgefüllt wurde, oder ob einem aus einer Angabe ein Strick gedreht wird und man doch letztendlich wieder alles zurückzahlen muss.

Es ist kein schönes Gefühl, ganz im Gegenteil: Die Psyche leidet ordentlich, eben auch weil man sich wie ein Bittsteller vorkommt und nicht wie ein Geschädigter! Weder haben wir schlecht gewirtschaftet (ganz im Gegenteil) noch haben wir uns etwas zuschulden kommen lassen. Und doch ist es aber genau dieses Gefühl, dass einem beim Ausfüllen der Anträge unterschwellig vermittelt wird. Natürlich ist es nur mein subjektives Empfinden, jedoch kursieren einige Stellungnahmen im Netz, die ähnliches berichten. Also kann es nicht nur mein Empfinden sein; offensichtlich geht es wohl vielen so.

Leider zeigt sich auch hier mal wieder, wie weit Theorie und Praxis auseinander klaffen. Bisher haben wir noch keinen einzigen Cent der sogenannten Soforthilfe gesehen, geschweige denn überhaupt eine Nachricht erhalten, wann mit einer Auszahlung zu rechnen ist. Bisher ist „nur“ (gerne in Anführungszeichen!) unser Nervenkostüm und unser Kontostand erheblich strapaziert worden – ansonsten ist bis jetzt noch nicht viel passiert. Der Monatserste ist da und damit ein riesen Batzen Geld vom Konto weg. Wie in den Medien seit 2 Wochen immer wieder berichtet wird: Knallhart: Es wird eng! Der Dispo lässt für den gesamten Monat nur noch Centbeträge übrig – und das am Monatsersten!

Klar, es ist eine Menge in ultrakurzer Zeit auf den Weg gebracht worden, aber im piefigen Deutschland wird es einem dann doch in der Praxis so schwer gemacht, dass man eigentlich doch nicht einmal die Hilfen beantragen möchte, damit man nicht Gefahr läuft- etwas falsch auszufüllen und dann Ärger zu bekommen. Oder man Gefahr läuft, dass die Hilfen nicht mehr als Zuschuss gelten sondern in Kredite umgewandelt werden. ZACK einfach so! Und dass man anschließend mit einem Haufen neuer Schulden da steht.

Zu all den Unwägbarkeiten der Krise kommen diese Ängste nun auch noch dazu. Das kann keiner gebrauchen und ist nicht gerade förderlich für die Zuversicht in die nahe Zukunft, die wir doch gerade jetzt alle so dringend benötigen. Stattdessen dominiert dieses schale Gefühl, irgendetwas falsch gemacht zu haben und kurz vor dem Abgrund zu stehen. Eine falsche Bewegung und das war´s. 

Es ist ja bereits jetzt so, dass nichts mehr so ist wie vor der Krise. Die Herausforderungen vor denen wir alle stehen, sind immens. Abgesehen von den wirtschaftlichen Auswirkungen, die wir wie irgend möglich stemmen müssen, kommt noch die psychologische Komponente hinzu. Und die ist nicht zu unterschätzen, denn das ist eine Lunte, die brennt und wenn wir es nicht schaffen, diese Lunte vorher auszutreten, dann stehen uns noch ganz andere Zeiten bevor. Den Gedanken mag ich nicht weiterdenken, denn er zieht mich zu sehr runter. Ich will mir meine Zuversicht bewahren, auch wenn es mit jedem neuen Tag immer schwieriger wird. Das Geld muss kommen und zwar nicht erst in 3 Monaten, sondern JETZT! Mit jedem Tag, der vergeht ist es schwieriger, die Zuversicht aufrechtzuerhalten. 

Ich möchte so gerne auch noch mal über andere Themen schreiben, aber Corona infiziert mittlerweile auch das Denken. Auch die Frage der Relevanz stellt sich mir in solchen Tagen. Wie relevant ist mein Text, wenn er nicht über Corona handelt? Wie kann ich mir meine Schreibfreude, auch über die kleinen Dinge des Lebens zu schreiben, erhalten? Wie schaffe ich es in diesen Zeiten, nicht alles in Frage zu stellen, was ich schreibe, das nichts mit dem Virus zu tun hat? Es erscheint mir alles ziemlich belanglos, angesichts dieser unsichtbaren, fiesen Bedrohung. Und doch ist es wohl genau das: Trotz allem über die Dinge des Lebens schreiben – auch wenn alles um einen herum im Chaos versinkt.

Denn das hilft, auf dem Boden zu bleiben und nicht in einem gedanklichen Angst Nirwana zu versacken. Gerade jetzt sind Gedanken, die nichts mit Corona und Krise und Weltuntergang zu tun haben, Gold wert. Es lohnt sich, genau diese kostbaren Gedanken festzuhalten – sich daran festzuhalten und somit den Blick für die kommenden Herausforderungen frei zu halten. Es gelingt mir in den letzten Tagen nicht, allerdings musste in den letzten Tagen auch organisatorisch sehr viel geregelt werden. Das vereinnahmt einen komplett. Insbesondere gedanklich. 

Nun ist es erst einmal wieder Zeit, sich über Dinge Gedanken zu machen, die nichts mit Corona zu tun haben. Ob es mir gelingen wird, weiß ich noch nicht. Aber gefühlt bin ich wie ein Kessel, aus dem Dampf rausgelassen werden muss. Ich sorge in den nächsten Tagen genau dafür, denn ich möchte nicht, dass mir mein Kessel um die Ohren fliegt. Ich könnte auch sagen, ich bin selbstfürsorglich und das gibt mir wiederum ein Gefühl der Selbstwirksamkeit indem ich dafür sorge, dass ich anderen Gedanken, die bisher zu kurz gekommen sind, mehr Raum gebe. Indem ich sie niederschreibe. Und das ist ein gutes Gefühl. In diesen Zeiten ein rares Geschenk.

Eure Marielosophie

stay home, stay healthy in Zeiten von Corona

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