Erwarte die Unsicherheit

Hätte ich gedacht, was ich jetzt denke? Hätte ich vor einigen Monaten gedacht, was ich jetzt denke? WAS denke ich? Mir wird Tag für Tag bewusster, wie wenig Einfluss ich wirklich auf das Leben habe. Das meiste, was gelungen ist, war sicher meinem Fleiß und Engagement geschuldet. Trotzdem entscheidet letztendlich der Zufall, welche Bahnen das Leben nimmt. Es braucht nur einer Winzigkeit – um beim Wort zu bleiben – ein Virus und schon ist die gesamte Planung Makulatur. Zack! Du befindest Dich in einem anderen Film. Und kennst Dich nicht mehr aus. Du stellst alles in Frage. Was ist denn noch sicher? Wir machen uns doch unser Leben lang vor, wir könnten Sicherheit sichern. Nichts ist größer als diese Illusion. Sozusagen die Illusion der Illusionen. 

In der Vergangenheit – vor Corona – konnten  wir es nur besser verbergen (und uns selbst betrügen), die Unsicherheit und Ungewissheit und vor allem die Unvorhersehbarkeit des Lebens.

Wir haben uns selbst erhöht – alles im Griff – von wegen!

Es benötigt nicht viel, um die gesamte Weltordnung aus der Bahn zu werfen.

Wir verdrängen es gerne. Denn es ist nur solange alles gut, solange es gut ist. Nur – jetzt? Jetzt ist nichts gut. Corona hat uns glasklar vor Augen geführt, dass es nur eine gefühlte Sicherheit jedoch keine absolute Sicherheit geben kann.

Dafür sind zuviele Faktoren im Spiel, die sich gegen einen persönliche oder auch gegen die Menschheit richten können. Ohne, dass wir wirklich etwas dagegen halten können. Ok – es gibt jetzt den Impfstoff – und sicher werden wir Corona dieses Jahr besser in den Griff bekommen, als letztes Jahr. Doch das soll nicht darüber hinwegtäuschen dass nach Corona vor Corona ist. Solange wir die Umwelt und die Erde, die uns überhaupt erst ein Leben ermöglicht,  weiter so schändlich behandeln – ist es nur eine Frage der Zeit, bis das nächste Virus auf den Mensch überspringt.

Zoonose nennt sich der Begriff. Infektionskrankheiten die von Tier zu Mensch springen und umgekehrt. Und wie hilft mir diese Erkenntnis nun weiter?

Ich habe keine Antwort darauf; ausser vielleicht diese: 

Nimm nichts als selbstverständlich.

 Ist es nämlich nicht.

Nichts ist selbstverständlich nur weil man Jahrzehnte in scheinbaren Selbstverständlichkeiten gelebt hat. 

Nicht die Demokratie, nicht die Gesundheit, nichts. Die Erkenntnis hilft, die scheinbaren Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen. Auch der Tod ist wieder in den Fokus gerückt. Der Tod, der Vater aller Selbstverständlichkeiten. Denn vor diesem ist keiner gefeit. Auch wenn einige Silicon Valley Millardäre selbst dem Tod ein Schnippchen schlagen und sich irgendwann selbst auf eine Festplatte laden wollen, ohne lästigen Körper. Die Illusion ist perfekt. Perfekt dafür, die Augen vor dem Unabänderlichen zu verschließen. Der Tod soll es nicht wagen, sie, die kapitalmäßig 80 % des Weltvermögens besitzen, einfach dahin zu raffen. Nein, es kann einfach nicht sein, was nicht sein darf- um es mit den Worten Christian Morgensterns auszudrücken. Und so stricken wir uns jedwede Illusion zurecht, die uns vormacht, wir könnten Einfluss auf das Leben nehmen. Welch Narratei!

Am gesündesten ist es, sich keinen falschen Illusionen – man könnte auch sagen – falschen Erwartungen hinzugeben. Blöderweise weiß ich im Vorfeld nicht, welche Illusion oder Erwartung die ich habe, falsch ist. Also ist es besser, nichts als selbstverständlich zu nehmen und versuchen mit der Unsicherheit leben zu lernen. Für manche Sicherheitsfanatiker kann das zu einem existenziellen Problem werden. Was jedoch wäre die Alternative? Es gibt sie nicht. Die Unsicherheit ist das einzige, was sicher ist, und das einzige – was wir sicher erwarten können – ohne Illusion und flauschigem Gerede. Und je weniger ich an Erwartungen hänge, die sich jederzeit auflösen können, wie Hefe in heißem Wasser, desto besser für die eigene Gemütslage.

Und ich weiß, während ich diese Worte tippe, dass es eben nicht so einfach ist. Der Mensch hat ein natürliches Sicherheitsbedürfnis. Er will sich frei von Schaden halten – eins der elementaren Bestrebungen menschlichen Lebens. Aber der Widerspruch ist genau der: Das Leben an sich ist eben unsicher und der Schaden kann einen schneller ereilen, als erwartet. Und da ist es – das Wort! Erwartet. Wer hätte erwartet, dass sich die Welt 2020 im Stillstand befinden wird? Wir haben erwartet, dass sich die Spirale des Geldes und der Konsumgier weiter drehen wird. Wir haben erwartet, dass alles so bleibt wie es war. Nichts davon ist geblieben. Das hat uns das Virus mehr als deutlich vor Augen geführt. Und je schneller wir uns mit dem Gedanken anfreunden, nichts als selbstverständlich zu nehmen, desto einfacher wird es…. oder eben nicht. Das ist Typsache. Da muss jeder alleine durch. 

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