Die Mutter aller Mütter
Wenn ich in unserem Garten sitze und mich von der Natur umhüllen lasse, kommen mir Gedanken wie: Warum fühlt sich der Mensch nur so wohl in der Natur.? Was gibt die Natur dem Menschen? Es ist ja fast wie ein Kollektivgefühl, wenn man Menschen über die Natur schwärmen hört. >>Die Natur erdet mich. Ich fühle mich mit der Natur verbunden. Die Ruhe in der Natur hilft mir, selbst zur Ruhe zu kommen. In der Natur fühle ich mich aufgehoben. Es entspannt mich, in der Natur zu sein<<
Die Beschreibung dieser Empfindungen haben alle etwas gemeinsam: Es ist das Bedürfnis nach Geborgenheit, Frieden, Ruhe, Verbundenheit. Alles Zustände, die uns – in unserer heutigen Gesellschaftsform – mehr und mehr abhanden kommen. In unserer Gesellschaft, die nur noch von Leistung getrieben ist, vermissen wir dieses Ursprüngliche, dieses Verbundene. Urtiefe Menschheitsbedürfnisse, die keinen Platz mehr finden im heutigen Raubkapitalismus. Stattdessen werden diese Bedürfnisse unterdrückt, geleugnet und einfach ausgeblendet. Und genau das macht uns krank!
Wir merken, dass etwas nicht stimmt. Diffus und nicht richtig beschreibbar. Aber das Gefühl ist da und irgendwann sucht es sich seinen Weg um ausgelebt zu werden. Darum boomt der Wald wieder. Alle möglichen Aktivitäten rund um den Wald werden angeboten. Vom Waldbaden bis hin zur Waldmeditation. Aber warum sehnen sich die Menschen nach der Natur? Es könnte doch genauso gut auch etwas anderes sein?
Mensch-Sein
Während ich also bei genau diesen Gedanken bin, fällt mir plötzlich eine Erklärung ein: Die Natur akzeptiert dich so wie du bist. Die Natur kritisiert und mäkelt nicht an dir herum. Die Natur ist neutral. Sie nimmt jeden auf. Die Natur kennt keine Diskriminierung. Jeder fühlt sich in der Natur aufgehoben. Jeder fühlt sich in der Natur als Mensch. Und zwar genau so, wie er ist. Er muss sich nicht verstellen. Er muss die Ellenbogen nicht ausfahren. Nein – in der Natur kann jeder Mensch so sein, wie er wirklich ist. Er muss keine Sorge haben, eins ins Gesicht zu bekommen, weil einem anderen, eben dieses nicht passt. In der Natur fühlst du dich angenommen. Du fühlst dich akzeptiert. Du fühlst dich als ein Teil von etwas. Du fühlst dich zugehörig. Du fühlst dich frei. Das sind alles Gefühle, die wir in der heutigen Gesellschaft unterdrücken müssen (!) – die wir nicht mehr ausleben können (dürfen!).
Frei und Zugehörig
In der Natur fühlen wir uns zugehörig. Wir fühlen uns verstanden. Wir fühlen uns aufgehoben. Heute fühlen sich die wenigsten noch wirklich aufgehoben in der Gesellschaft. Stattdessen Hetze, noch mehr Hetze und dieser unglaubliche Druck nach Leistung und Optimierung und noch mehr und noch mehr. Wir können uns um unsere ureigensten menschlichen Bedürfnisse nicht mehr kümmern. Umso befreiter fühlen wir uns dann, wenn wir in der Natur wandeln können. Ohne konkretes Ziel (bei den meisten zumindest) und ohne Erwartungen. Es sind diese Gegenpole – die uns weitermachen lassen. Ohne die Natur und die Möglichkeit, sich in ihr fallen zu lassen, würden wir durchdrehen. Die Welt sähe dann nochmal ganz anders aus. Und obwohl die Natur uns Seelenheil bringt, gehen wir schändlich mit ihr um. Das ist der Mensch. Saugt ab, was geht und der Rest wird einfach vernichtet. Aber das ist eine andere Baustelle.
Die Mutter aller Mütter
Nicht umsonst gibt es den Begriff der Mutter Natur. Genau dieser Begriff zeigt unsere Sehnsucht. Die Sehnsucht nach der Mutter, die dich bedingungslos annimmt, so wie du bist. Die sich um dein Seelenheil kümmert. Die dir Sicherheit und Geborgenheit gibt. Genau darum ist die Natur für uns so wichtig. Denn sie holt uns dort ab, wo wir von der Gesellschaft stehen gelassen worden sind. Allein, verängstigt, gestresst, getrieben, einsam. Die Natur nimmt uns in ihre Arme, sie tröstet uns, gibt uns Kraft und Zuversicht. Sie päppelt uns auf. Sie hört uns zu. Sie urteilt nicht und ist gütig Darum fühlen wir uns ihr so verbunden und so aufgehoben. Bedingungslos nimmt sie uns auf; das ist das Wundervolle an der Natur: Sie ist bedingungslos. Sie verlangt keine Gegenleistung von uns. Jeder der sich in der Natur aufhält nimmt. Die Natur jedoch verlangt nichts zurück. Sie verteilt großzügig und ohne Erwartungen. Das ist in der heutigen Zeit fast zu schön um wahr zu sein. Und viele spüren, dass sich diese Urbedürfnisse eben nicht einfach wegdenken lassen. Uns treibt es in die Natur. Wir müssen diesen Stress kompensieren und die Natur empfängt uns mit offenen Armen, wie eine Mama, die sich um ihr seelengepeinigtes Kind kümmert. In der Natur fühlen wir uns wieder wie im Schoß der Mutter. Die uns umfängt mit ihrer Güte und Weitsicht. Und wenn wir ganz genau hinhören, dann hören wir leise unser Herz klingen im Gleichtakt mit der Natur.