NOCH ist das neue JETZT

Es ist Dienstag – noch sehr früh am Morgen. Der Tag ist noch frisch und unverbraucht. Auch von Gedanken. Aber schon fangen sie an, sich in meinem Kopf breit zu machen. Kaum ist das Bewusstsein wieder im Hier, geht der Gedankentanz im Hirn auch schon wieder los. Nichtsahnend hatte ich plötzlich diesen Gedanken: „Was machen eigentlich die ganzen Reiseblogger und digitalen Nomaden in dieser Coronazeit? Die können nicht mehr reisen und somit können die auch nicht mehr über ihren Reiseerlebnisse schreiben.

Das ist ziemlich übel (wie vieles in dieser Krise). Ich bin jedes Mal auf´s Neue entsetzt, wie dieses Virus nahezu jeden Winkel unseres Lebens infiziert. Viele Dinge, die zuvor als sicher und selbstverständlich galten, haben plötzlich keine Daseinsberechtigung mehr. Das Virus hat vieles einfach von der Bildfläche verschwinden lassen. Ob das Theater, das Kino, die Restaurants oder Konzerte. Nichts! Nichts ist mehr davon da. Nur noch physisch stehen die nunmehr leeren Gebäude an ihren Plätzen. Ihre Seele jedoch, haben sie verloren. Das was die Häuser mit Leben gefüllt hat, ist jetzt im Lockdown; befindet sich im Schraubgriff des Virus. Die Theaterschauspieler, die Zuschauer, die Gäste – also wir – sind nicht mehr da. Doch –  wir sind noch da – aber wir können nicht mehr da sein, wo wir sein wollen.

Wir können uns nicht mehr einfach in ein Flugzeug setzen und den nächsten Kontinent bereisen. Wir können uns noch nicht einmal mehr einfach ins Auto setzen und die Familie in einem anderen Bundesland besuchen. Wir stecken fest! Und so geht es wohl auch den vielen Reisebloggern, die jetzt nicht mehr weg können. Nicht mehr von ihren Reisen schreiben und andere nicht mehr mit ihren Reiseberichten begeistern können. Es geht einfach nichts mehr. Gerade jetzt, wo die Welt keine Grenzen mehr kannte, wo jede und jeder auch den entlegensten Winkel der Welt erkundschaften konnte, gerade jetzt kommt dieses Virus daher und katapultiert uns zurück in einen winzig kleinen Radius.

Die Welt wird wieder kleiner. Das Virus zerstört die Globalisierung der vergangenen Jahrzehnte. Ich bin mir nicht sicher, ob das nur Nachteile hat, oder ob die Vorteile vielleicht doch größer sind, als ich zur Zeit überblicken kann. Zwei Herzen schlagen in meiner Brust: Ich bin erleichtert, dass die Erde mit dieser Zwangspause wieder ein wenig zu Atem kommen kann. Das Rad hat sich immer schneller gedreht, so schnell, dass es nicht möglich war, einen klaren Gedanken zu fassen. Jetzt haben wir die Vollbremsung und damit kommen jetzt Gedanken zu Tage, die wir vorher erfolgreich durch immer mehr machen und noch mehr machen (konsumieren!) erfolgreich unterdrücken konnten. Jetzt stehen wir ziemlich nackig da und wissen nicht, wie wir mit dieser einmaligen und mehr als beängstigenden Situation umgehen sollen.

Wir haben es ja in den vergangenen Jahrzehnten verlernt. Wir haben es verlernt unsere Tage mit der Familie zu verbringen. Wir haben es verlernt, unsere Tage mit uns selbst zu verbringen. Wir haben es verlernt, uns wirklich Gedanken über das Leben und uns zu machen. Warum auch? Es war ja genügend Ablenkung da – vor Corona! Und jetzt? Jetzt sind wir zurückgeworfen auf uns selbst. Wir können uns zwar immer noch ablenken -Netflix und Amazon wird es wohl auch noch in 100 Jahren geben- aber es ist doch nicht mehr ganz so einfach, vor sich selbst zu flüchten als noch vor 2 Monaten.

Die Reiseblogger und all die Instagram Mäuschen, die sich gern – Influencer (0ha!) nannten, sind jetzt nicht viel besser dran, als Frau M. in ihrer 2 Zimmer Wohnung. Alle stecken fest. Der Unterschied wird wieder kleiner. Der Unterschied zwischen Frau M. und Goldy L. oder wer auch immer… die jetzt nur noch über sich selbst nachdenken und schreiben kann und nicht mehr über die Länder, die sie sonst bereist hat. Nichts geht mehr, es ist alles komplett aus den Angeln gehoben. Dinge, die zuvor einfach so möglich waren, werden jetzt zu einem Problem.

Wir können uns eben nicht mehr einfach irgendwo reinsetzen und die Welt bereisen. Neue Kulturen kennen lernen, Horizonte – physische wie mentale – erweitern. Jetzt sind wir in unserem kleinen Radius gefangen. Oder auch frei – je nach eigener Perspektive. Denn für die einen ist es ein Desaster, sich nicht mehr nach außen orientieren zu können; keinen Dauerapplaus mehr zu bekommen. Für die anderen ist ein Kennenlernen mit dem Selbst vielleicht die Chance ihres Lebens.

Mich treibt in den letzten Tagen und Wochen eine Frage besonders um: Wird sich – und wenn ja – wie wird sich unsere Gesellschaft durch dieses Virus verändern? Wird sie sich überhaupt verändern? Oder werden es nur wieder einige wenige sein, die aus dieser Krise anders, neu, hervorgehen? Was passiert mit unseren Werten? Werden es die gleichen sein, wie vor der Krise? Oder verändern wir uns und damit auch unsere Wertevorstellungen? Wir werden wir miteinander umgehen? Und überhaupt: Wie wird sich dieses Maskentragen seelisch auf uns auswirken? Wie ist das, wenn man keinem mehr richtig ins Gesicht schauen kann, weil es zum größten Teil mit dieser Schutzmaske bedeckt ist? Kein freundliches Lächeln ist mehr zu erkennen, keine richtige Deutung mehr möglich. Das schafft Unbehagen, bei mir jedenfalls – und ein gewisses Maß an Unsicherheit,  kann ich doch mein Gegenüber gar nicht mehr richtig einschätzen.

Und Unsicherheit schafft früher oder später zwangsläufig Angst. Und das kann nicht gut sein! Wenn das Maskentragen zur Pflicht wird, ist das auf jeden Fall eine psychische Belastung, die nicht zu unterschätzen sein wird. Was das mit uns Menschen im Miteinander machen wird, mag ich mir nicht bis zum Letzten ausdenken. Aber ich bin mehr als besorgt, ob dieser Aussichten.

Noch soll es ja nur in Supermärkten und Bus und Bahn Pflicht sein – aber was ist schon in diesen Zeiten für das NOCH – noch sicher? Das NOCH von gestern, kann morgen bereits Makulatur sein. Wenn wir eins in den letzten Wochen gelernt haben, dann das: Es gibt solange ein NOCH bis es ersetzt wird. Und zwar schneller, als wir uns hätten jemals vorstellen können. Die NOCHS werden in diesen Zeiten immer weniger, die Ungewissheiten werden immer mehr. Bei diesem Sturm die Orientierung, sprich seinen inneren Kompass – wenn man ihn denn jemals besessen hat – nicht zu verlieren ist mehr als eine Herausforderung. Es ist die Aufgabe unseres Lebens. Und keiner weiß, wie es ausgehen wird. 

Eure Marielosophie

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